Ich bin ein sogenannter Bastard und dazu noch ungetauft.

Meine Mutter wohnte und arbeitete in einer Kleinstadt in der erweiterten Nähe von Magdeburg.
In ihrem Betrieb lernte sie einen netten Vorgesetzten kennen, woraus sich dann ein "Techtelmechtel" entwickelte. Und wie im Film: Die Frau wird schwanger und der Mann ist verheiratet. Die Ehe ist kinderlos und so wird der kleine Bastard auch gerne mal in den väterlichen Wänden begrüßt. Bei den Besuchen bekommt der kleine Junge aber schon mal mit, dass der Vater regelmäßig auf zwei Bier in die Gaststätte geht. Daran kann man ja noch nicht herummeckern. Aber ich nehme an, dass ein Kind, wenn man da harmlos drüber spricht, schon mal denkt, das gehört zu einem erwachsenen Mann dazu. 

Meine Mutter, meine Schwester( deren Vater im Krieg gefallen ist , sonst wäre alles anders gewesen) und ich, zogen nach Magdeburg, ungefähr ein Jahr, nachdem ich die erste Bowle schlürfte. Hier wohnten wir in einem Seitenhaus in einer Doppelwohnung mit ganz netten Nachbarn, die zu mir wie Oma und Opa waren. Meine leiblichen Großeltern waren schon verstorben als ich das Licht der großen weiten Welt erblickte.

Das Haus war ein Eckhaus mit Kneipe. Oft beobachteten wir Kinder, wie das Pferdegespann mit den großen Bierfässern kam. Es wurde eine Kellerklappe geöffnet, ein dicker Sack runtegeschmissen, auf dem die Fässer landeten. In der Kneipe war immer Trubel. Manchmal durften wir drei Spielkameraden vom Hof (zwei Mädchen und ich), uns dort eine Fassbrause genehmigen.

Meine Mutter lernte einen anderen Mann kennen, der ein paar Jahre jünger war und Fußball spielte. Er war Glaser in einer PGH. Der Betrieb gehörte mal seinen Eltern, aber der Wandel der Zeit machte, dass der Vater starb und Frau und Sohn den Betrieb nicht eigenständig führen konnten. 

Der Mann wohnte ein paar Strassenecken weiter und ich sah ihn nicht täglich. Aber ich sah, dass er des Öfteren an- oder betrunken zu uns kam und es auch ab und an ordentlich krachte. An einmal erinnern wir uns, dass heißt meine Schwester und ich (Mutter ist schon vierzehn Jahre tot) mit großer Freude. Da kam es beim Abendessen zum Streit und meine Mutter kippte einen vollen Teller Kartoffelsalat über seinen Kopf. Natürlich mussten wir unser Lachen verkneifen. Wir werteten das nach dem Besuchsende richtig aus.
Nach ein paar Jahren zogen wir zu ihm. Die Wohnung war größer und schöner. Sie befand sich direkt neben einer katholischen Kirche. Das Geläute hörte man aber nach ein paar Wochen nicht mehr. Aber nun bekamen meine Schwester und ich immer mehr mit, wie es um diesen Mann steht. Er ging morgens zur Arbeit. Direkt neben der PGH befand sich eine kleine Kneipe. Dort nahm er das Frühstück ein. Dieses bestand aus ein paar Hellen und eventuell ein bis zwei Soleiern. Nun muss man sagen, dass das Bier damals 30 Ostpfennige kostete und der Alkoholgehalt noch fast gar nicht in Promille angegeben werden konnte. Aber die Masse macht´s. Dann lief er mit einer Scheibe durch die Strassen zu irgendwelchen Kunden. Seine Arbeit machte er einwandfrei. Sicher hat man dann auf die neue Verglasung noch einen Kleinen getrunken. Nach Feierabend ging es erstmal wieder in besagte Kneipe bis geschlossen wurde. So ging es einige Jahre.

Irgendwann machte meine Mutter Schluß. Mein Kinderzimmer, meine Schwester hatte geheiratet und wohnte nicht mehr bei uns, wurde sein Zimmer. Des öfteren versuchte er nicht mehr zu trinken, aber dann quälten ihn starke Magenkrämpfe und auch alle anderen Entzugserscheinungen so stark, dass man es gar nicht mit ansehen konnte. Man machte sich sein Bild, glaubte aber nicht, dass es einem selbst auch mal so gehen kann. Er starb am Alkohol ungefähr mit fünfzig Jahren.

Im Laufe dieser Jahre  machte auch ich Bekanntschaft mit Alkohol. Und zwar trafen wir heranwachsenden Bengels uns täglich auf der Strasse. Es wurde mal eine Zigarette "geraucht", eine kleine Pfeife mit getrockneten Lindenblütenblättern "gequiemt" und auch mal eine Flasche "WEKA-ROT" geteilt. Das war ein Mehrfruchtwein, der es in sich hatte. Aber das waren Sachen, die sicher fast alle Jugendlichen in diesem Alter mal machen und eigentlich noch keine Suchterscheinungen hervorrufen.

Dann hatten wir die zehnte Klasse geschafft. Wir machten ein Abschlußtrinken in einer Gaststätte, aber ohne negativen Folgen.

Nun kam die Lehre. Und da muss ich sagen, dass jetzt eine heiße Phase begann. Ich hatte mich für eine Lehre als Fernmeldebaumonteur mit Abitur entschieden. Unsere Klasse bestand aus ungefähr fünfundzwanzig Leuten aus der ganzen damaligen DDR. Davon waren drei Magdeburger. Alle anderen lebten für diese Zeit in zwei verschiedenen Wohnheimen. Man traf sich, trank gemeinsam und, und, und. Ohne uns drei Ortsansässigen. 

Und nun ergab es sich, dass ein Cousin, der in einem kleinen Ort in der weiteren Umgebung von Magdeburg wohnte, straffällig geworden war und er nur nicht ins Gefängnis müsste, wenn jemand für ihn bürgt. Das tat meine Mutter. Er zog zu uns, um hier arbeiten zu können. Mir wurde die Aufgabe eines "Mentors" übertragen. Ich sollte das gute Beispiel für ihn sein. Schließlich war ich anständig erzogen und dabei, das Abitur zu machen. Das konnte doch nur gut sein.
Dachte Mann.

Zuerst ging das auch so. Dann begleitete ich ihn in die obenerwähnte Kneipe. Erst ab und zu, dann immer öfter und dann fast immer. Samstags gingen wir in anrüchige Tanzlokale und tranken, was das Zeug hält. Das Geld war knapp, aber man fand immer jemanden, der einen ausgab. Mein Verwandter musste aber dann doch noch ins Gefängnis wegen einiger Delikte und zog dann wieder auf sein Dorf. Dort war er Traktorfahrer, was ihn aber vom Trinken nicht abhielt. Nach ein paar Jahren fiel er vom Sitz und wurde überrollt. Endeffekt: Tot mit ca. siebenunddreißig Jahren.

Bei mir beruhigte sich alles erstmal und lief in geregelten Bahnen.

Nach einer gewissen Zeit befreundete ich mich mit einem Kumpel aus der Klasse und wir unternahmen öfter etwas zusammen. Er übernachtete ab und zu bei uns und wir gingen auch gemeinsam auf Brautschau. Eines Tages lernte ich eine Stationsgehilfin kennen. Ab und zu holte ich sie von der Arbeit ab. Um den Tagesstress etwas abzubauen, holten wir uns uns eine Flasche Kirsch-Whisky oder ähnliches und setzten uns an die Elbe in die Sonne. Abends gingen wir dann noch ein paar Bier trinken. 

Ich lernte ihren Bruder kennen, der irgendwo in der Altmark nach Öl oder Gas bohrte und für damalige Verhältnisse sehr gut verdiente. Er finanzierte uns einen Urlaub am Barleber See. Meine Familie hatte dort seit Jahren einen Dauercampingplatz. Und hier traf sich die Szene. Eine große Truppe langhaariger Beatles-, Bee Gee-, Stone- und-wie-sie-alle-heißen-Fans traf sich täglich zu großen Saufgelagen. Es war immer lustig. Wir gingen besoffen baden und fanden uns cool.
Eine schöne Zeit!

Aber ich musste nebenbei noch mein Abitur hinkriegen. Viel gebüffelt habe ich nicht mehr.

Tut mir Leid,
tut mir Leid,
habe leider keine Zeit!
(aus Ellis im Wunderland)

Ich bekam fast die Kurve.
Fast!

In Englisch wurde ich auf "Eins" geprüft. Mit "Nicht bestanden" hat es geendet. Ich hab es ein viertel Jahr später hingekriegt.

Zu der Zeit lernte ich meine Frau kennen und musste im November 1972 zur Fahne.
Eggesin.

Viele wissen, was das bedeutet.

Während dieser zeit trank ich nur, wenn ich Gelegenheit hatte, und das war sehr selten. Ich heiratete, wurde im Frühjahr 1975 entlassen, wir bekamen eine kleine feuchte Wohnung und zwei Jahre nach der Hochzeit einen kleinen Sohn. Für Samstagabend holte ich mir schon mal zwei, drei Flaschen Bier zu 0,33 Liter. Die gab es damals bei uns noch.

Ja, dann wurde es Öfter

 

 

 



 

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